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Kakao steht vor einer historischen Wendemarke. Was einst als erschwingliche Grundlage für Deutschlands liebste Süßigkeit galt, ist 2024 zu einem der teuersten Rohstoffe der Welt geworden. Mit Rekordpreisen von über 11.000 Euro pro Tonne und dramatischen Ernteausfällen von bis zu 50 Prozent in Westafrika erlebt die Kakaoindustrie eine beispiellose Krise. Diese Entwicklung betrifft nicht nur die 6,01 Millionen deutschen Kakao-Konsumenten, sondern stellt die gesamte Schokoladenindustrie vor fundamentale Herausforderungen zwischen Klimawandel, fairen Handelsbedingungen und nachhaltiger Zukunftssicherung.
Deutschland nimmt eine Schlüsselposition im internationalen Kakaohandel ein. Im Jahr 2021/22 lag der Pro-Kopf-Konsum von Kakaomasse bei 2,7 Kilogramm, was einem Gesamtverbrauch von 227.000 Tonnen entspricht. Dieser Wert hat sich seit 1950/51, als er noch bei 1,5 Kilogramm lag, nahezu verdoppelt. Parallel dazu konsumieren die Deutschen jährlich 7,89 Kilogramm Schokoladenwaren pro Kopf, womit das Land zu den führenden Schokolade-Konsumenten Europas gehört.
Die deutsche Schokoladenindustrie produzierte 2023 beeindruckende 1,14 Millionen Tonnen kakaohaltige Erzeugnisse im Wert von 6,48 Milliarden Euro. Das entspricht 13,6 Kilogramm Schokolade pro Kopf oder umgerechnet 2,6 Tafeln wöchentlich je Einwohner. Diese Produktionszahlen verdeutlichen die immense wirtschaftliche Bedeutung des Kakaosektors für Deutschland.
Das Jahr 2024 markiert eine historische Zäsur für den Kakaomarkt. Die Importpreise für Kakaobohnen stiegen im Oktober um dramatische 91,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Bei Kakaomasse, Kakaobutter und Kakaoöl lag der Anstieg sogar bei 114,7 Prozent. Den absoluten Höchststand erreichten die Preise im April 2024 mit einem Anstieg von 208 Prozent bei Kakaobohnen und 173,4 Prozent bei verarbeiteten Produkten.
Diese Preisentwicklung hat den Kakao zur teuersten Handelsware gemacht. Eine Tonne Rohkakao kostete Ende 2024 über 11.000 Euro und war damit teurer als eine vergleichbare Menge Kupfer. Zum Vergleich: Anfang Januar 2024 lag der Preis noch unter 4.000 Euro, im Februar 2023 sogar unter 2.500 Euro pro Tonne.
Die Klimakrise erweist sich als primärer Treiber der Kakaoknappheit. In den Hauptanbaugebieten Elfenbeinküste und Ghana, die zusammen über 60 Prozent der weltweiten Kakaoproduktion ausmachen, führen Extremwetterereignisse zu verheerenden Ernteausfällen. Dürreperioden, Starkregen und Überflutungen haben 2024 zu Ernteverlusten von 40 bis 50 Prozent in Westafrika geführt.
Das Wetterphänomen El Niño, verstärkt durch den Klimawandel, schuf ideale Bedingungen für Schädlinge und Krankheiten. Besonders die Cocoa Swollen Shooting Virus Disease und Pilzinfektionen wie die Black Pod Disease dezimieren ganze Plantagen. Diese Krankheiten werden durch die feucht-warmen Bedingungen begünstigt, die der Klimawandel verstärkt.
Neben dem Klimawandel verschärfen strukturelle Probleme die Krise. Der überwiegende Anbau in Monokulturen macht die Pflanzen besonders anfällig für Krankheiten und Wetterextreme. Kakao gedeiht natürlicherweise im Schatten größerer Bäume, wird jedoch häufig in exponierten Plantagen kultiviert. Die Böden sind durch jahrzehntelangen intensiven Anbau ausgelaugt, viele Kakaobäume sind überaltert und die Bauern können sich teure Düngemittel und Pestizide nicht leisten.
Die Entwaldung in Westafrika hat bereits 80 Prozent des ursprünglichen Regenwaldes vernichtet. Für die Elfenbeinküste prognostizieren Experten einen kompletten Regenwaldverlust bis 2024. Diese Entwicklung verstärkt lokale Klimaveränderungen und reduziert die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme.
Ein weiteres Problem sind die veralteten Plantagen. Ein Kakaobaum benötigt fünf bis sechs Jahre bis zu den ersten Früchten und zehn Jahre für volle Erträge. Der durch Krankheiten und Klimaschäden zerstörte Baumbestand kann daher nicht kurzfristig ersetzt werden.
Die Preissteigerungen erreichen inzwischen deutsche Verbraucher. Milka-Schokolade kostete Ende 2024 1,99 Euro statt der bisherigen 1,49 Euro. Ritter Sport, Lindt & Sprüngli und andere Hersteller erhöhten ebenfalls ihre Preise deutlich. Das Statistische Bundesamt meldete für Dezember 2024 einen Preisanstieg von 14,6 Prozent bei Schokoladentafeln gegenüber dem Vorjahr.
Dabei trifft die Krise kleine und mittelständische Hersteller besonders hart. Unternehmen wie VIVANI, die auf hochprozentige Schokoladen mit hohem Kakaoanteil spezialisiert sind, sehen sich existenziellen Herausforderungen gegenüber. Große Konzerne können durch Lagerbestände und Economies of Scale die Kostensteigerungen besser abfedern.
Die Industrie reagiert mit verschiedenen Strategien: Shrinkflation (kleinere Portionsgrößen bei gleichen Preisen), Rezepturänderungen mit reduziertem Kakaogehalt und Investitionen in Kakao-Alternativen wie laborgewachsene Substitute oder Schokolade aus fermentierten Hafer, Sonnenblumenkernen oder Johannisbrot.
Inmitten der Krise erweist sich der faire Handel als stabilisierender Faktor. Fairtrade-Kakao erreichte 2024 einen Marktanteil von 21 Prozent in Deutschland. Die 472.000 Fairtrade-zertifizierten Kakaobauern weltweit, die fast ein Viertel aller zertifizierten Bauern ausmachen, profitieren von Mindestpreisen und Prämien.
Der Absatz von Fairtrade-Schokolade stieg 2023 um 9,5 Prozent auf 5.940 Tonnen. Durch Verkäufe auf dem deutschen Markt erwirtschafteten Kakao-Kooperativen rund 20 Millionen Euro Fairtrade-Prämien für Gemeinschaftsprojekte. Diese Mittel fließen in Bildung, Gesundheitsversorgung und nachhaltige Anbaumethoden.
Besonders bemerkenswert ist, dass 78 Prozent des fair gehandelten Kaffees in Deutschland auch Bio-zertifiziert sind. Diese Kombination aus sozialen Standards und ökologischen Kriterien stärkt die Widerstandsfähigkeit der Anbausysteme gegen Klimaextreme.
Die dramatischen Preisanstiege locken zunehmend Spekulanten an. Sobald Nachrichten über Ernteausfälle publik wurden, setzen Hedgefonds und Finanzinvestoren auf weiter steigende Preise. Diese Spekulationen verstärken die Preisdynamik erheblich und treiben die Kosten über das durch fundamentale Angebots- und Nachfragefaktoren gerechtfertigte Niveau hinaus.
Cargill, einer der weltgrößten Agrarrohstoffhändler, steht im Verdacht, durch massive Aufkäufe die Märkte zusätzlich zu beeinflussen. Als größtes nicht-börsennotiertes Unternehmen der USA operiert Cargill weitgehend unter dem öffentlichen Radar, kontrolliert aber bedeutende Teile der globalen Kakao-Lieferkette.
Trotz Rekordpreisen kommen die Erlöse kaum bei den Kakaobauern an. Lediglich sechs Prozent des Verkaufspreises einer Schokoladentafel erreichen die Produzenten. Zwei Drittel der Kakao-anbauenden Familien in Westafrika leben unter der Armutsgrenze von 3,95 US-Dollar pro Person täglich.
Die Machtkonzentration in der Schokoladenindustrie bei wenigen Großunternehmen ermöglicht es diesen, die Preise für Rohkakao zu diktieren. Währenddessen steigen die Produktionskosten der Bauern durch teure Düngemittel, Pestizide und die Notwendigkeit, ihre Felder nach der EU-Entwaldungsverordnung zu kartieren und mit Geodaten zu dokumentieren.
Der deutsche Kakaomarkt zeigt interessante Entwicklungen. Mit einem häuslichen Umsatz von 169 Millionen Euro und einem Außer-Haus-Umsatz von 93,43 Millionen Euro erreicht der kombinierte Markt 262,5 Millionen Euro im Jahr 2024. Allerdings wird für 2025 ein Absatzrückgang von 3,7 Prozent erwartet.
Bei den Konsumgründen dominiert der Genuss: 54 Prozent der Befragten trinken Kakao aus Genussgründen. Besonders in kalten Monaten steigt die Nachfrage nach heißer Schokolade als Komfortgetränk. 45 Prozent der deutschen Verbraucher zeigen Interesse an Produkten, die zu ihrem Wohlbefinden beitragen.
Nachhaltigkeit gewinnt an Bedeutung: 45 Prozent der Verbraucher sind bereit, für ethisch und nachhaltig produzierte Produkte mehr zu zahlen. Dies spiegelt sich auch in der wachsenden Nachfrage nach veganer Schokolade wider, die besonders bei 16- bis 34-Jährigen Anklang findet.
Die Branche reagiert auf die Krise mit Innovationen. Funktionale Schokolade mit Superfoods, Vitaminen oder probiotischen Kulturen erobert den Markt. Produkte wie ChoBiotics kombinieren Genuss mit Gesundheitsnutzen. Der Trend zu zuckerreduzierten und proteinreichen Schokoladenprodukten entspricht dem wachsenden Gesundheitsbewusstsein.
Besonders innovativ ist die Nutzung der gesamten Kakaofrucht. Bisher wurde hauptsächlich die Bohne verwendet, während das Fruchtfleisch meist ungenutzt blieb. Neue Produkte wie VIVANI Whole Cocoa Fruit verwerten 100 Prozent der Kakaofrucht und schaffen zusätzliche Einkommensquellen für Bauern.
Kakao-Alternativen gewinnen an Bedeutung. Unternehmen wie Planet A Foods entwickeln mit ChoViva völlig kakaofreie Schokoladen-Substitute aus fermentierten Hafer, Sonnenblumenkernen oder Sojabohnen. Diese Alternativen sind bereits in Supermarktprodukten verschiedener Hersteller zu finden.
Die Zukunft des Kakaoanbaus liegt in nachhaltigen Anbausystemen. Agroforstwirtschaft mit Mischkulturen und Schattenbäumen bietet besseren Schutz gegen Klimaextreme. Das Chakra-System indigener Kichwa-Gemeinschaften im Amazonasgebiet zeigt, wie 60 bis 100 verschiedene Arten in einem Anbausystem koexistieren können.
Diese Systeme weisen eine deutlich höhere Biodiversität und Klimaresilienz auf als Monokulturen. Der WWF fördert solche Projekte in Ecuador in Zusammenarbeit mit dem BMZ und der GIZ. Partnerschaften mit Schokoladenherstellern wie Paccari zeigen, dass nachhaltiger Anbau auch kommerziell erfolgreich sein kann.
Die EU-Entwaldungsverordnung stellt neue Anforderungen an die Kakao-Lieferkette. Hersteller müssen nachweisen, dass für ihre Produkte keine Wälder zerstört wurden. Dies erfordert umfassende Dokumentation und Rückverfolgbarkeit bis zur einzelnen Plantage.
Gleichzeitig diskutiert die deutsche Politik über die Abschaffung der Kaffeesteuer für fair gehandelte Produkte. Ähnliche Regelungen für Kakao könnten nachhaltigen Anbau weiter fördern. Das geplante Lieferkettengesetz würde Unternehmen zu größerer Sorgfaltspflicht bei Menschenrechten und Umweltstandards verpflichten.
Experten erwarten, dass die Kakaopreise auch 2025 hoch bleiben. Die Erholung der Plantagen in Westafrika wird Jahre dauern, da neue Bäume erst nach fünf bis zehn Jahren volle Erträge liefern. Der globale Nachfrageanstieg, besonders in Schwellenländern wie China und Indien, verstärkt den Preisdruck zusätzlich.
Für deutsche Verbraucher bedeutet dies: Schokolade wird deutlich teurer bleiben. Experten prognostizieren, dass die Preise nie wieder auf das Vor-Krisen-Niveau sinken werden. Dies könnte zu einem bewussteren Konsum führen, bei dem Qualität und Nachhaltigkeit stärker gewichtet werden als reine Quantität.
Ein oft übersehener Aspekt der Kakaokrise ist die Geschlechterungerechtigkeit. In vielen Anbaugebieten haben Frauen keinen gleichberechtigten Zugang zu Land, Krediten oder Bildung. Fairtrade fördert mit der Women's School of Leadership gezielt weibliche Führungskräfte in Kakao-Kooperativen.
Kinderarbeit bleibt ein gravierendes Problem. Schätzungen zufolge arbeiten über zwei Millionen Kinder unter gefährlichen Bedingungen in der Kakaoproduktion. Programme zur Bildungsförderung und Einkommenssteigerung der Familien sind essentiell, um diese Praktiken zu beenden.
Moderne Technologie bietet neue Ansätze für nachhaltigeren Kakaoanbau. Satellite Monitoring hilft bei der Überwachung von Entwaldung, während Blockchain-Technologie die Rückverfolgbarkeit verbessert. Drohnen können Plantagen effizienter auf Krankheiten und Schädlinge überwachen.
Künstliche Intelligenz unterstützt Bauern bei der Optimierung von Bewässerung, Düngung und Erntezeiten. Mobile Apps ermöglichen den direkten Zugang zu Marktpreisen und landwirtschaftlichem Wissen. Diese digitalen Lösungen können besonders kleinbäuerlichen Betrieben helfen, produktiver und nachhaltiger zu werden.
Die Kakaokrise markiert einen Wendepunkt für die gesamte Schokoladenindustrie. Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit und ökologische Zerstörung zwingen zu grundlegenden Veränderungen. Die Branche muss sich von einem System billiger Rohstoffe auf Kosten von Mensch und Umwelt verabschieden.
Die Zukunft liegt in nachhaltigen Anbausystemen, fairen Preisen für Bauern und bewusstem Konsum. Deutschland kann als einer der größten Schokoladenmärkte weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen. Die wachsende Nachfrage nach Fairtrade- und Bio-Produkten zeigt, dass Verbraucher bereit sind, für verantwortungsvolle Produktion mehr zu zahlen.
Die Kakaokrise ist letztendlich auch eine Chance: für gerechtere Handelsbedingungen, umweltfreundlicheren Anbau und eine Wertschätzung der Menschen, die unser täglich Süßes möglich machen. Schokolade wird teurer werden – aber sie kann auch besser werden.
Wie denkst du über diese Entwicklungen im Kakaomarkt? Die ZENTRALE Community interessiert sich für deine Meinung zu fairen Preisen und nachhaltiger Schokolade!