Ashwagandha

Ashwagandha: Zwischen jahrtausendealter Tradition und aktuellen Sicherheitsbedenken

Ashwagandha hat sich in den vergangenen Jahren von einer traditionellen ayurvedischen Heilpflanze zu einem der meistdiskutierten Nahrungsergänzungsmittel entwickelt. Die auch als Schlafbeere, Winterkirsche oder indischer Ginseng bekannte Pflanze (Withania somnifera) wird mit einer Vielzahl von Gesundheitsversprechen beworben. Doch während die 3000 Jahre alte Tradition ihren Einsatz stützt, warnen deutsche Behörden zunehmend vor möglichen Risiken bei der unkontrollierten Einnahme moderner Präparate.

ZENTRALE Überblick

  • Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnt seit September 2024 vor Ashwagandha-Präparaten aufgrund von Berichten über Leberschäden und anderen Nebenwirkungen
  • Studien zeigen zwar eine Cortisol-Senkung um bis zu 30 Prozent, jedoch fehlen umfassende Sicherheitsdaten für die langfristige Anwendung
  • Kinder, Schwangere, Stillende und Menschen mit Lebererkrankungen sollten vollständig auf Ashwagandha-Produkte verzichten

Botanische Grundlagen und Herkunft

Withania somnifera gehört zur Familie der Nachtschattengewächse und ist in den trockenen Gebieten Afrikas, der Arabischen Halbinsel und Asiens sowie in Südeuropa beheimatet. Die Pflanze erreicht eine Höhe von bis zu 160 Zentimetern und gedeiht besonders gut auf sandigen bis kiesigen Böden.

Der Name Ashwagandha stammt aus dem Sanskrit und bedeutet wörtlich "Geruch des Pferdes", was auf den charakteristischen Duft der Wurzel zurückzuführen ist. Einige ayurvedische Experten interpretieren dies auch als Hinweis darauf, dass die Pflanze "den Hengst in uns erwecken" kann.

Während die Pflanze kleine gelbe Blüten und orange-rote Früchte trägt, werden für medizinische Zwecke ausschließlich die Wurzeln und teilweise die Blätter verwendet. Die Beeren selbst sind aufgrund ihres hohen Alkaloidgehalts giftig und nicht für den Verzehr geeignet.

Wirkstoffe und pharmakologische Eigenschaften

Die therapeutischen Eigenschaften von Ashwagandha werden hauptsächlich den Withanoliden zugeschrieben, steroidähnlichen Verbindungen, deren chemische Struktur Ähnlichkeiten mit Testosteron, Östrogen und dem Stresshormon Cortisol aufweist. Der Gesamtgehalt an Withanoliden in der Wurzel liegt bei etwa 1,33 Prozent, in den Blättern ist er deutlich höher.

Wichtige Inhaltsstoffe:

  • Withanolide: Hauptwirkstoffe mit adaptogenen Eigenschaften
  • Withanoside und Sitoindoside: Glykosidverbindungen
  • Alkaloide mit verschiedenen biologischen Aktivitäten
  • Flavonoide als natürliche Antioxidantien
  • Tannine mit entzündungshemmenden Eigenschaften
  • Eisen in nennenswerten Mengen

Ein kritischer Punkt ist Withaferin A, eine zytotoxische Substanz, die hauptsächlich in Blattextrakten vorkommt. Da diese Verbindung zur Abtötung von Krebszellen verwendet wird, empfehlen Experten ausschließlich Wurzelextrakte für die regelmäßige Einnahme.

Adaptogene Eigenschaften und Wirkmechanismus

Ashwagandha wird zu den Adaptogenen gezählt, Pflanzensubstanzen, die dem Körper helfen sollen, sich an Stresssituationen anzupassen. Um als Adaptogen zu gelten, müssen Pflanzen drei spezifische Kriterien erfüllen:

  1. Unspezifische Stressresistenz: Verbesserung der Widerstandsfähigkeit gegen verschiedene Stressformen
  2. Normalisierung: Unterstützung der physiologischen Homöostase
  3. Unschädlichkeit: Keine negativen Auswirkungen bei normaler Dosierung

Moderne Forschung geht davon aus, dass Adaptogene wie Ashwagandha positiv auf das immun-neuro-endokrine System und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse wirken. Der genaue Wirkmechanismus ist jedoch noch nicht vollständig verstanden.

Wissenschaftliche Evidenz

Cortisol und Stressreduktion

Die am besten dokumentierte Wirkung von Ashwagandha betrifft die Cortisol-Regulation. Eine placebokontrollierte Studie mit 64 Probanden zeigte nach einer 60-tägigen Einnahme von 300 Milligramm Wurzelextrakt zweimal täglich eine Cortisol-Senkung um 30 Prozent im Vergleich zur Placebogruppe.

Die Teilnehmer berichteten zusätzlich über eine 69-prozentige Verringerung von Angst und Schlaflosigkeit. Eine weitere Studie bestätigte eine signifikante Reduzierung der Stresswerte auf allen verwendeten Bewertungsskalen.

Blutzucker und Stoffwechsel

Mehrere Studien zeigten, dass Ashwagandha den Blutzuckerspiegel sowohl bei gesunden Personen als auch bei Diabetikern senken kann. In Laborversuchen erhöhte es die Insulinsekretion und verbesserte die Insulinsensitivität der Muskelzellen.

Immunsystem und Entzündungen

Tierstudien deuten auf entzündungshemmende Eigenschaften hin. Eine Humanstudie zeigte nach 30-tägiger Supplementierung mit 60 Milligramm Extrakt eine Verbesserung des Immunprofils bei gesunden Erwachsenen.

Körperliche Leistung

Eine Studie mit Kraftsportlern berichtete über signifikante Verbesserungen der Muskelkraft, Leistung beim Bankdrücken und bei Kniebeugen sowie bessere Regenerationswerte nach der Ashwagandha-Einnahme.

Aktuelle Sicherheitsbedenken

BfR-Warnung 2024

Das Bundesinstitut für Risikobewertung veröffentlichte im September 2024 eine eindringliche Warnung vor Ashwagandha-Präparaten. Grundlage waren internationale Fallberichte über schwerwiegende Nebenwirkungen zwischen 2020 und 2024.

Dokumentierte Nebenwirkungen:

Häufige Beschwerden:

  • Übelkeit, Erbrechen, Durchfall
  • Benommenheit, Kopfschmerzen, Schwindel
  • Hautausschläge
  • Schläfrigkeit

Schwerwiegende Komplikationen:

  • Leberschäden bis hin zum akuten Leberversagen
  • Toxische Hepatitis mit Gelbsucht und Juckreiz
  • Beeinträchtigung der Schilddrüsenfunktion
  • Veränderungen von Blutzucker- und Hormonspiegeln

Wechselwirkungen

Ashwagandha kann die Wirkung verschiedener Medikamente beeinflussen:

  • Antidiabetika: Verstärkung der blutzuckersenkenden Wirkung
  • Blutdrucksenker: Mögliche übermäßige Blutdrucksenkung
  • Immunsuppressiva: Beeinträchtigung der immunsuppressiven Therapie
  • Sedativa: Verstärkung der beruhigenden Wirkung
  • Schilddrüsenhormone: Mögliche Beeinflussung der Schilddrüsenfunktion

Risikogruppen und Kontraindikationen

Das BfR empfiehlt folgenden Personen explizit, auf Ashwagandha-Präparate zu verzichten:

Absolute Kontraindikationen:

  • Kinder und Jugendliche
  • Schwangere und stillende Frauen
  • Menschen mit aktuellen oder früheren Lebererkrankungen

Relative Kontraindikationen:

  • Schilddrüsenerkrankungen
  • Autoimmunerkrankungen
  • Diabetes mellitus
  • Bluthochdruck
  • Einnahme von Psychopharmaka

Dosierung und Anwendungsformen

Da für Ashwagandha keine festgelegten Grenzwerte existieren, variieren die Dosierungsempfehlungen erheblich. Verschiedene Studien verwendeten Dosierungen zwischen 225 und 600 Milligramm täglich.

Verfügbare Darreichungsformen:

  • Kapseln mit standardisierten Extrakten
  • Pulver für Smoothies oder warme Getränke
  • Tinktur für schnellere Absorption
  • Tees mit geringerer Wirkstoffkonzentration

Qualitätsunterschiede

Ein erhebliches Problem liegt in der stark variierenden Qualität der am Markt erhältlichen Präparate. Die Konzentrationen der Wirkstoffe unterscheiden sich je nach:

  • Herkunft der Pflanze
  • Erntezeitpunkt und Verarbeitungsmethode
  • Verwendeten Pflanzenteilen (Wurzel vs. Blätter)
  • Extraktionsverfahren

Regulatorische Situation

Anders als Arzneimittel durchlaufen Nahrungsergänzungsmittel mit Ashwagandha kein behördliches Zulassungsverfahren. Sie werden rechtlich als Lebensmittel eingestuft, wodurch der Hersteller selbst für Sicherheit und Kennzeichnung verantwortlich ist.

Die Lebensmittelüberwachungsbehörden der Bundesländer führen nur stichprobenartige Kontrollen durch. Bei Sicherheitsbedenken kann ein Stoff in die entsprechende EU-Verordnung aufgenommen und reguliert werden.

Kritische Einordnung der Kontroverse

Befürworter-Position

Der Ayurveda Dachverband Deutschland kritisiert die BfR-Warnung als überzogen und verweist auf die jahrtausendelange sichere Anwendung in der traditionellen indischen Medizin. Ein aktueller Artikel im Journal of Ayurveda and Integrative Medicine kritisiert zudem das dänische Ashwagandha-Verbot als wissenschaftlich unzureichend begründet.

Behördliche Position

Das BfR betont, dass "keine einzige wissenschaftlich belegte positive Wirkung" für moderne Ashwagandha-Präparate existiert, während die Risiken unzureichend erforscht sind. Die Datenqualität für eine verlässliche Risikobewertung wird als "ungenügend" eingestuft.

Zeitrahmen der Wirkung

Die Effekte von Ashwagandha zeigen sich unterschiedlich schnell:

Akute Wirkungen:

  • Entspannung: Innerhalb von Minuten bei Tinktur-Anwendung
  • Beruhigung: Sofortige Effekte bei akutem Stress möglich

Längerfristige Wirkungen:

  • Cortisol-Regulation: Nach 1-2 Monaten regelmäßiger Einnahme
  • Schlafverbesserung: Nach 2-8 Wochen
  • Stressresistenz: Nach 4-12 Wochen kontinuierlicher Anwendung

Alternative Stressbewältigung

Angesichts der Sicherheitsbedenken empfehlen Experten bewährte Alternativen zur Stressreduktion:

  • Regelmäßige Bewegung und Sport
  • Achtsamkeits- und Entspannungsübungen
  • Ausreichender Schlaf (7-9 Stunden täglich)
  • Ausgewogene Ernährung
  • Soziale Kontakte und Stressmanagement

Für pflanzliche Beruhigungsmittel mit besserer Sicherheitslage können Passionsblume, Lavendel oder Baldrian in Betracht gezogen werden.

Konsumenten sollten sich bewusst sein, dass Nahrungsergänzungsmittel keiner Arzneimittelzulassung unterliegen und die beworbenen Wirkungen oft nicht ausreichend wissenschaftlich belegt sind. Bei gesundheitlichen Beschwerden ist der Gang zum Arzt die sicherere Alternative zu Selbstmedikation mit pflanzlichen Präparaten unklarer Qualität.

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