Pflegezeit: Vereinbarung von Beruf und Pflege eines Angehörigen
Nach Aussagen der Bundesregierung werden derzeit etwa 73 Prozent aller Pflegebedürftigen durch ihre Angehörigen so weit wie möglich selbst betreut. Doch in vielen Fällen ist dies aufgrund der beruflichen Situation sehr schwer. Von den derzeit insgesamt 2,9 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden rund 2,04 Millionen Menschen mit ambulanten Leistungen versorgt, davon in den meisten Fällen sogar zuhause. Dies ist besonders beliebt, da viele ungern ihr gewohntes Umfeld und die ständige Nähe der Familie verlassen möchten. Nicht nur, wenn es um die Versorgung von Kindern geht, müssen sich Familie und Beruf vereinbaren lassen, sondern auch immer häufiger bei der Pflege von Angehörigen.
Arbeitstätige, die sich persönlich um pflegebedürftige Angehörige kümmern wollen, können dies auf verschiedenen Wegen tun:
- die Kurzzeitige Arbeitsverhinderung, (§ 2 des Pflegezeitgesetzes (PflegeZG): Arbeitnehmer können, nach Anzeigen beim Arbeitgeber maximal zehn Tage am Stück ihrer Arbeit fern bleiben, um akute sowie weiterführende Pflegemaßnahmen zu gewährleisten.
- Pflegezeit (§§ 3 und 4 PflegeZG): Das Beantragen der Pflegezeit geschieht bei dem Arbeitgeber. Die Arbeitnehmer können dann maximal sechs Monate von der Arbeit freigestellt werden. Nach Absprache kann auch eine teilweise Freistellung erfolgen.
- Seit 2012 gibt es außerdem die Familienpflegezeit.
Formen der Pflegezeit auf einen Blick
Arbeitsverhinderung | Pflegezeit | Familienpflegezeit | |
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rechtliche Grundlage | §§ 1-2; 5-8 PflegeZG | §§ 1, 4-8 PflegeZG | Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) |
maximale Dauer | zehn Arbeitstage ohne Ankündigungsfrist | sechs Monate (max. drei Monate in der letzten Lebensphase) | 24 Monate |
Zweck | akute und weiterführende Pflegemaßnahmen gewährleisten | Pflege eines Angehörigen in der häuslichen Umgebung | Pflege eines Angehörigen in der häuslichen Umgebung |
Art der Freistellung | vollständig | vollständig oder teilweise | teilweise, Stundenreduzierung auf > 15 Stunden pro Woche möglich |
Lohnfortzahlung | nein (Pflegeunterstützungsgeld bei der Pflegekasse des Angehörigen zu beantragen) | nein bzw. teilweise + zinsloses Darlehen (beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zu beantragen) | ja, für > 15 Stunden pro Woche + zinsloses Darlehnen (beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zu beantragen) |
Kündigungsschutz | ja, Kündigungsschutz besteht von der Ankündigung bis zum Ende der Auszeit | ja, Kündigungsschutz besteht von der Ankündigung bis zum Ende der Auszeit | ja, Kündigungsschutz besteht von der Ankündigung bis zum Ende der Auszeit |
Sozialversicherung | Familienversicherung über Ehepartner oder freiwillige Versicherung, wenn nicht verheiratet | bis 450 € Gesamteinkommen Familienversicherung bzw. freiwillige Versicherung, wenn nicht verheiratet über 450 € als gesetzliche Pflichtversicherung | bis 450 € Gesamteinkommen Familienversicherung bzw. freiwillige Versicherung, wenn nicht verheiratet über 450 € als gesetzliche Pflichtversicherung |
Die Familienpflegezeit
Für eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gibt es das „Gesetz über die Familienpflegezeit“ (Familienpflegezeitgesetz – FPfZG). Damit besteht ein Anspruch auf bis zu 24 Monate Freistellung, bei der die Arbeitszeit auf bis zu 15 Stunden pro Woche reduziert wird. Am Ende der Familienpflegezeit steigen die Arbeitnehmer wieder voll in den Beruf ein, bei weiterhin reduziertem Gehalt, bis das Zeitkonto wieder ausgeglichen ist. Wird ein minderjähriger Angehöriger gepflegt, so kann dies auch außerhalb der häuslichen Umgebung stattfinden.
Fazit:
Arbeitzeit auf 62,5 % gesenkt (von 40 auf 25 h)
Lohn auf nur 82,25 % reduziert (von 1.600 auf 1.300 €)
Arbeitnehmer | Arbeitgeber | aus Bundesdarlehen | |
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§§ | Reduzierung der Arbeitszeit, aber minimal 15 h pro Woche | Reduzierung des Gehaltes anteilig zur Arbeitszeit | Aufstockung des Lohnes um die Hälfte der Differenz zwischen ursprünglichem und reduziertem Gehalt |
Beispiel bei Bruttolohn von 1.600 € und 40 h Arbeitszeit | Reduzierung der Arbeitszeit von 40 h auf 25 h (= 62,5 %) | Reduzierung des Lohns von 1.600 auf 1.000 € (= 62,5 %) | Aufstockung des Gehaltes um 300 € (Hälfte von 600 €) |
Finanzierung der Familienpflegezeit
Das Gesetz sieht vor, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber einen Vertrag über die Familienpflegezeit abschließen, in dem sich über die Reduzierung der Arbeitszeit geeinigt wird. Der Arbeitgeber zahlt das anteilige Gehalt zur reduzierten Arbeitszeit. Zusätzlich wird das Gehalt um die Hälte der Differenz zwischen ursprünglichem und reduziertem Gehalt aufgestockt. Dies wird den Arbeitgebern aus zinslosen Bundesdarlehen finanziert, für die das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zuständig ist. Nach dem Ende der Familienpflegezeit behält der Arbeitgeber einen Teil des Lohnes ein und zahlt das Darlehen an das Bundesamt zurück. Während der Familienpflegezeit gilt für Arbeitnehmer die Pflicht eine Familienpflegezeitversicherung abzuschließen. Diese greift, sofern der Arbeitnehmer während der Familienpflegezeit verstirbt oder wegen Berufsunfähigkeit arbeitsunfähig wird und das Zeitkonto des vorausgezahlten Gehaltes nicht ausgleichen kann.
Definition naher Angehöriger
Zum 1.1.2015 wurde der Kreis der nahen Angehörigen erweitert. Bisher gehörten dazu folgende Gruppen:
- Großeltern, Eltern, Schwiegereltern
- Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft
- Geschwister
- Kinder, Adoptiv- und Pflegekinder
- Kinder, Adoptiv- und Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners
- Schwiegerkinder und Enkelkinder
Neu dazu gekommen sind:
- Stiefeltern
- Schwägerinnen und Schwager
- lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaften
Beruf & Sozialversicherung
Während der Arbeitsfreistellungen zur Pflege eines Angehörigen erhalten die Arbeitnehmer einen vollen Kündigungsschutz. Mit dem Ende der Lohnzahlung (Pflegezeit und Arbeitsverhinderung) endet die Pflege- und Krankenversicherung. Vielen steht der Übergang in die kostenlose Familienversicherung offen. Wer die Voraussetzungen dazu nicht erfüllt, erhält Zuschüsse aus der Pflegekasse zum Aufbau eines Versicherungsschutzes. Auch die Arbeitslosenversicherung wird häufig von der Pflegekasse getragen. Für die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gibt es gesonderte Regelungen. Kommt es nur zu einer teilweisen Freistellung, laufen die Beiträge zur Sozialversicherung regulär weiter.
Pflege Angehöriger
Nach Aussagen des Bundesfamilienministeriums in einer Pressemittleilung zum Gesetz habe man in dem Konzept auch das Problem der Altersarmut im Blick. Deshalb wurde die minimale Beschäftigungszeit bei 15 Stunden pro Woche angesetzt. Mit den üblichen Beitragszahlungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Sozialversicherung erhalten pflegende Angehörige einen Zuschuss aus der Pflegeversicherung zur eigenen Rentenversicherung. Damit kann das Niveau der späteren Rentenansprüche relativ konstant gehalten werden. Bei Arbeitnehmern mit einem geringen Einkommen steigt der Rentenanspruch mit der Familienpflegezeit sogar.
Begleitung der letzten Lebensphase
Zur Begleitung eines Angehörigen in der letzten Lebensphase kann eine Auszeit von ein bis drei Monaten genommen werden. Diese kann teilweise oder vollständig erfolgen. Darauf besteht auch ein Rechtsanspruch, wenn diese Begleitung in einem Hospiz stattfindet. Zudem besteht auch hier die Möglichkeit eines zinslosen Darlehens.
Versicherung während der Pflegezeit
Die Familienpflegezeit ist eine spezielle Lebenssituation, die sich auch auf die Versicherung der Pflegeperson auswirkt:
- Kranken- und Pflegeversicherung: Während der Pflege eines nahen Angehörigen ist die Pflegeperson beitragsfrei familienversichert, solange die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Ist dies nicht der Fall, so gibt es die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung oder die Versicherungspflicht als „Person ohne anderweitigen Versicherungsschutz“, bei der der Pflegende auf Antrag eines Zuschuss zum Beitrag von der Versicherung des Gepflegten erhält. Dies gilt auch, wenn der Gepflegte privat versichert ist.
- Arbeitslosenversicherung: War der Versicherte vor der Pflegezeit versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung, so übernimmt die Pflegekasse während der Pflegezeit die Beiträge dafür.
- Rentenversicherung: Beträgt die häusliche Pflege wöchentlich mindestens 14 Stunden und erhält der Gepflegte Leistungen aus der Pflegeversicherung, so müssen die Beiträge zur Rentenversicherung weiter gezahlt werden.
- Versicherungsfreiheit bleibt erhalten: Bei Personen, die von der Versicherungspflicht befreit sind, bleibt dies erhalten, weil angenommen wird, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenze während der Pflegezeit überschritten wird.
Praktische Tipps zur Beantragung der Pflegezeit
Die Beantragung der Pflegezeit erfordert eine klare Kommunikation mit dem Arbeitgeber und die Einhaltung bestimmter Fristen. Hier sind einige Schritte, die Sie beachten sollten:
- Frühzeitige Planung: Informieren Sie sich frühzeitig über die Pflegebedürftigkeit Ihres Angehörigen und klären Sie, welche Form der Freistellung (kurzfristige Arbeitsverhinderung, Pflegezeit oder Familienpflegezeit) für Ihre Situation geeignet ist.
- Schriftliche Ankündigung: Die Pflegezeit und Familienpflegezeit müssen mindestens zehn Tage vor Beginn schriftlich beim Arbeitgeber beantragt werden. Geben Sie dabei den Zeitraum und den Umfang der gewünschten Freistellung an.
- Nachweis der Pflegebedürftigkeit: Fügen Sie Ihrem Antrag eine Bescheinigung der Pflegekasse oder des Medizinischen Dienstes bei, die die Pflegebedürftigkeit Ihres Angehörigen bestätigt.
- Gespräch mit dem Arbeitgeber: Bereiten Sie sich auf ein Gespräch mit Ihrem Arbeitgeber vor, um mögliche organisatorische Fragen zu klären und eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Finanzielle Unterstützung optimal nutzen
Um die finanziellen Herausforderungen während der Pflegezeit zu bewältigen, sollten Sie alle verfügbaren Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen:
- Pflegeunterstützungsgeld: Dieses kann für bis zu zehn Tage bei der Pflegekasse des Angehörigen beantragt werden, wenn Sie kurzfristig freigestellt werden müssen.
- Zinsloses Darlehen: Für längere Freistellungen wie die Pflegezeit oder Familienpflegezeit können Sie ein zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) beantragen. Dieses Darlehen hilft, Einkommensverluste auszugleichen, und wird in kleinen Raten zurückgezahlt.
- Steuerliche Vorteile: Prüfen Sie, ob Sie Pflegekosten steuerlich geltend machen können. Viele Ausgaben rund um die Pflege können als außergewöhnliche Belastungen abgesetzt werden.
Organisation des Pflegealltags
Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege erfordert eine gute Organisation. Nutzen Sie folgende Tipps, um den Alltag besser zu bewältigen:
- Pflegedienste und Unterstützungsangebote: Ziehen Sie professionelle Pflegedienste oder ehrenamtliche Helfer in Betracht, um Entlastung zu schaffen.
- Pflegekurse: Viele Krankenkassen bieten kostenlose Pflegekurse an, in denen Sie praktische Fähigkeiten für die häusliche Pflege erlernen können.
- Netzwerke nutzen: Tauschen Sie sich mit anderen pflegenden Angehörigen aus – zum Beispiel in Selbsthilfegruppen oder Online-Foren -, um wertvolle Tipps und emotionale Unterstützung zu erhalten.
Rechte kennen und durchsetzen
Es ist wichtig, Ihre Rechte als Arbeitnehmer zu kennen und diese bei Bedarf einzufordern:
- Kündigungsschutz: Während der gesamten Dauer der Freistellung genießen Sie einen besonderen Kündigungsschutz. Sollte es dennoch Probleme geben, können Sie sich an den Betriebsrat oder eine Rechtsberatung wenden.
- Flexible Lösungen finden: Falls eine vollständige Freistellung nicht möglich ist, sprechen Sie mit Ihrem Arbeitgeber über alternative Modelle wie Teilzeit oder Homeoffice.
Weiterführende Informationen und Unterstützung
Falls Sie weitere Fragen haben oder Unterstützung benötigen, stehen Ihnen verschiedene Anlaufstellen zur Verfügung:
- Pflegehotline des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Unter der Telefonnummer 030 20179131 erhalten Sie kostenfreie Beratung zu allen Fragen rund um die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege.
- Pflegekassen: Ihre Krankenkasse bzw. die Pflegekasse Ihres Angehörigen ist ein wichtiger Ansprechpartner für finanzielle Leistungen und organisatorische Fragen.
- Beratungsstellen vor Ort: Viele Kommunen bieten Pflegestützpunkte an, die Ihnen bei der Organisation der Pflege helfen können.