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Gesundheit - Ernährung - Vorsorge - Versicherung
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Resilienz ist mehr als nur ein Modewort der modernen Psychologie. Als Fähigkeit zur Aufrechterhaltung oder schnellen Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach Belastungen hat sie sich zu einem zentralen Forschungsfeld entwickelt. Während die aktuelle Datenlage alarmierende Zahlen zu psychischen Erkrankungen zeigt, rückt die Stärkung der individuellen und kollektiven Widerstandskraft in den Fokus von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
Resilienz leitet sich vom lateinischen resilire ab, was „zurückspringen“ oder „abprallen“ bedeutet. Der Mainzer Resilienzforscher Professor Raffael Kalisch definiert sie als „Aufrechterhaltung oder schnelle Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach Widrigkeiten“.
Die wissenschaftliche Erforschung begann vor etwa 100 Jahren mit Jack Block, der bei Kindern die Ego-Resilienz analysierte. Hoch-resiliente Kinder zeigten sich als empathischer, intelligenter und weniger ängstlich sowie besser im Umgang mit Stress.
Einen Meilenstein setzte die Entwicklungspsychologin Emmy Werner mit ihrer berühmten Kauai-Studie, in der sie 700 Kinder über Jahrzehnte begleitete. Dabei entdeckte sie, dass ein Drittel der Kinder trotz ungünstiger Startbedingungen eine positive Entwicklung durchlief.
Die moderne Resilienzforschung hat sich zu einem differenzierten Wissenschaftsfeld entwickelt, das drei verschiedene Paradigmen umfasst. Resilienz als Kapazität betrachtet sie als relativ stabile Eigenschaft oder Fähigkeit einer Person. Dieses traditionelle Verständnis steht im Zentrum vieler Messinstrumente und Interventionen.
Resilienz als Outcome fokussiert auf das Ergebnis von Anpassungsprozessen nach belastenden Ereignissen. Hier geht es um die Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit oder funktionalen Leistungsfähigkeit trotz widriger Umstände.
Resilienz als Prozess versteht sie als dynamischen Verlauf der Anpassung über die Zeit. Bei akuten Stressoren zeigt sich ein resilienter Verlauf durch schnelle Erholung, bei chronischen Belastungen durch Habituation und zunehmend schwächere Reaktionen.
Die aktuellen Zahlen zur psychischen Gesundheit in Deutschland sind alarmierend. Der DAK-Psychreport 2024 zeigt einen 52-prozentigen Anstieg der Arbeitsausfälle wegen psychischer Erkrankungen im Zehnjahresvergleich. DAK-versicherte Beschäftigte hatten insgesamt 323 Arbeitsunfähigkeitstage je 100 Versicherte.
Besonders betroffen sind Berufsgruppen im Gesundheits- und Sozialwesen. Erzieher, Sozialpädagogen und Theologinnen führen mit 534 Ausfalltagen je 100 Versicherte, gefolgt von Fachkräften in der Altenpflege mit 531 Tagen. Das Gesundheitswesen liegt mit 472 Ausfalltagen deutlich über dem Durchschnitt.
Der AXA Mental Health Report 2024 offenbart weitere beunruhigende Trends. 49 Prozent der Frauen aber nur 39 Prozent der Männer bewerten ihre psychische Verfassung als durchschnittlich bis schlecht. Besonders dramatisch ist die Situation bei jungen Frauen: 40 Prozent der 18-34-Jährigen geben an, aktuell mental erkrankt zu sein.
Die Resilienzforschung hat verschiedene Schutzfaktoren identifiziert, die die psychische Widerstandskraft stärken. Auf individueller Ebene gehören dazu Selbstwirksamkeit, Optimismus, Problemlösefähigkeiten und Emotionsregulation. Diese Faktoren erwiesen sich in COVID-19-Studien als besonders relevant.
Soziale Unterstützung spielt eine zentrale Rolle als Schutzfaktor. Eine Meta-Analyse mit über 400 Studien zeigte jedoch, dass Resilienz nur 1-3 Prozent der Varianz in Gesundheits- und Wohlbefindensvariablen erklärt, zusätzlich zu etablierten Persönlichkeitsmerkmalen.
Risikofaktoren umfassen chronischen Stress, soziale Isolation, traumatische Erfahrungen und genetische Prädispositionen. Interessant ist, dass sich der Zusammenhang zwischen Resilienz und psychischer Gesundheit mit zunehmendem Alter verringert und bei männlichen Personen schwächer ausgeprägt ist.
Das Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR) in Mainz erforscht die neurobiologischen Mechanismen der Resilienz. Aktuelle Studien zeigen, dass resiliente Personen andere Gehirnaktivierungsmuster aufweisen, insbesondere in Regionen, die für Emotionsregulation und Stressverarbeitung zuständig sind.
Epigenetische Faktoren spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Belastende Erfahrungen können die Genexpression beeinflussen, aber resiliente Bewältigungsstrategien können diese Effekte teilweise umkehren. Die Forschung zu TET-Dioxygenasen zeigt, wie Umweltfaktoren die DNA-Methylierung beeinflussen können.
Interessant sind auch Befunde zur Gedächtnisverdrängung. Eine Studie an Personen, die den Terroranschlägen von Paris 2015 ausgesetzt waren, zeigte, dass die Fähigkeit zur Unterdrückung von Erinnerungen für eine positive Anpassung nach traumatisierenden Ereignissen zentral ist.
Betriebliches Gesundheitsmanagement setzt zunehmend auf Resilienzförderung. Die DAK-Gesundheit bietet Unternehmen Resilienzberatung mit Vorträgen, Seminaren und Workshops an. Angesichts der hohen Ausfallzeiten entwickeln sich solche Programme zu einem wichtigen Baustein der Personalstrategie.
Im Bildungsbereich entstehen Programme zur Resilienzförderung im Kindes- und Jugendalter. Das Leibniz-Institut für Resilienzforschung arbeitet mit rheinland-pfälzischen Hochschulen am Projekt „Gesund studieren in Rheinland-Pfalz“, um Studierenden bei psychischen Belastungen zu helfen.
Design Thinking wird als Methode zum Resilienztraining diskutiert. Das Arbeiten in heterogenen Teams fördert die Widerstandskraft gegenüber Problemen im Innovationsprozess und entwickelt das individuelle Verständnis von Resilienz.
Trotz der Popularität des Resilienzkonzepts mehren sich kritische Stimmen. Der britische Professor Mark Neocleous warnt vor einer „Kultur des Vorbereitetseins auf die Katastrophe“ und sieht in der Resilienzbegeisterung eine Vorbereitung auf kriegerische Auseinandersetzungen.
Eine Meta-Analyse von 2014 stellte die Vorhersagekraft von Resilienz in Frage. Der Faktor erklärte nur minimal zusätzliche Varianz über etablierte Persönlichkeitsmerkmale hinaus. Dies wirft Fragen zur praktischen Relevanz spezieller Resilienzinterventionen auf.
Methodische Herausforderungen betreffen die Definition und Messung von Resilienz. Die Operationalisierung als dynamischer Prozess ist komplex und hängt von der konkreten Forschungsfrage, der Art der Widrigkeit und dem Fokus innerhalb des Resilienzprozesses ab.
Neben der individuellen Ebene gewinnt organisationale Resilienz an Bedeutung. Der Sachverständigenrat Gesundheit betont in seinem Gutachten 2023 die Notwendigkeit, die Resilienz des Gesundheitssystems zu stärken. Resiliente Systeme bewahren ihre Handlungs- und Funktionsfähigkeit bei exogenen Schocks.
Systemresilienz besteht aus dem Zusammenwirken von individueller, gemeinschaftlicher und organisatorischer Ebene. Im Gesundheitswesen umfasst dies die Kooperation verschiedener Leistungserbringer untereinander sowie mit politischen Entscheidungsträgern und Wirtschaftsakteuren.
Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig resiliente Strukturen sind. Ein Vergleich der Allgemeinbevölkerung mit Gesundheitspersonal ergab, dass letztere eine höhere Resilienz aufwiesen, aber auch stärker belastet waren.
Das International Symposium on Resilience Research findet 2025 unter dem Motto „New Challenges, New Solutions“ statt. Gastwissenschaftler aus Australien, Großbritannien und den USA bereichern die Forschung am LIR durch internationalen Austausch.
Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz und das Leibniz-Institut für Resilienzforschung haben einen gemeinsamen Leibniz-WissenschaftsCampus mit Fokus auf Resilienz ins Leben gerufen. Solche interdisziplinären Ansätze prägen die moderne Resilienzforschung.
Posttraumatisches Wachstum wird als komplementäres Konzept erforscht. Viele psychotherapeutische Ansätze argumentieren, dass negative Lebensereignisse als Chance zu emotionalem Wachstum begriffen werden müssen.
Die Resilienzforschung steht vor wichtigen Weichenstellungen. Measurement Burst Designs ermöglichen es, resiliente Verläufe über längere Zeiträume abzubilden und Habituationsprozesse bei chronischen Stressoren zu untersuchen.
Die individualisierte Medizin eröffnet neue Möglichkeiten für personalisierte Resilienzinterventionen. Genetische und epigenetische Faktoren könnten dabei helfen, maßgeschneiderte Präventionsprogramme zu entwickeln.
Künstliche Intelligenz und Big Data bieten Potenzial für die Früherkennung von Risikopersonen und die Entwicklung adaptiver Interventionen. Die Digitalisierung ermöglicht skalierbare Resilienzprogramme für große Bevölkerungsgruppen.
Die Integration der drei Resilienzparadigmen bleibt eine zentrale Aufgabe. Nur durch das Zusammenführen von Kapazitäts-, Outcome- und Prozess-Perspektiven lässt sich ein umfassendes Verständnis der psychischen Widerstandskraft entwickeln.
Wie erlebt ihr persönlich Resilienz in eurem Alltag? Welche Strategien helfen euch dabei, schwierige Phasen zu bewältigen? Teilt eure Erfahrungen mit der ZENTRALE Community und lasst uns gemeinsam von den Erkenntnissen der Resilienzforschung profitieren!